WAS IST MIT DER LIRA LOS?
Die türkische Lira gehört in diesem Jahr zu den weltweit schwächsten Währungen. Seit Jahresbeginn hat sie zum amerikanischen Dollar 20 Prozent an Wert verloren, gegenüber dem Euro sind es 17 Prozent. Zu beiden Währungen steht sie in der Nähe ihrer Rekordtiefs. Die Gründe für den Sinkflug liegen nicht auf der Hand, denn die türkische Wirtschaft wächst. Im vergangenen Jahr ist sie um mehr als sieben Prozent expandiert. Von dem wirtschaftlichen Einbruch nach dem Putschversuch im Sommer 2016 hat sich das Land also erholt. Warum fällt dann aber die Lira?
Der Sinkflug der Lira hat zahlreiche Gründe. Zum einen hat die türkische Wirtschaft viele offene Flanken. Sie ist kein klassisches Exportland und muss viele Waren importieren, darunter Energie. Damit einher geht ein hohes Defizit in der Leistungsbilanz. Um diesen Fehlbetrag zu finanzieren, ist die Türkei auf einen regelmäßigen Zustrom an ausländischem Kapital angewiesen. Das macht das Land anfällig gegen Kapitalabzug. So ist das Land gegenwärtig mit am stärksten von steigenden Zinsen in den USA betroffen, da Anlagen in der Türkei weniger lukrativ erscheinen.
Darüber hinaus ist der Wachstumsschub nach dem Putschversuch teuer erkauft worden. Hinter dem Stichwort "Erdoganomics" verbergen sich vor allem höhere Staatsausgaben, Steuersenkungen und Kreditgarantien. Die Folge: steigende Haushaltsdefizite und Staatsschulden. Hinzu kommt, dass das Vertrauen der Anleger in das politische System seit dem Putschversuch erheblich gelitten hat. Dazu haben Massenverhaftungen, der immer noch geltende Ausnahmezustand und staatliche Einflussnahme auf Presse und Gerichtsbarkeit beigetragen.
Die wohl schwerwiegendste Belastung für die Lira ist jedoch die Ankündigung von Präsident Erdogan, die Geldpolitik der Notenbank nach einer Bestätigung im Amt an die Kandare nehmen zu wollen. Staatliche Einflussnahme auf die Notenbank ist so ziemlich das Letzte, was Investoren schätzen. Die Ankündigung wiegt besonders schwer, weil die Inflation in der Türkei zweistellig ist. Gegen hohe Inflationsraten helfen nach klassischer ökonomischer Lehre Zinsanhebungen. Erdogan ist aber ein Gegner hoher Zinsen, er empfiehlt zur Inflationsbekämpfung Zinssenkungen.
DAS SAGEN EXPERTEN:
Der Wahlausgang ist nach Einschätzung von Analysten mitentscheidend für die weitere Kursentwicklung der Lira. Wichtig dürfte vor allem sein, ob die künftige Machtfülle Erdogans und seiner AKP ausreicht, um entscheidenden Einfluss auf die Notenbank zu nehmen. Die Aussicht, dass Erdogan seine Ankündigung wahr macht und tatsächlich die geldpolitische Kontrolle übernimmt, bezeichnet Experte Tatha Ghose von der Commerzbank als "Desaster-Szenario".
Positiv wertet Ghose dagegen, dass die türkische Notenbank bereits auf die hohe Inflation und die Lira-Schwäche reagiert hat, und das in zweierlei Hinsicht: Zum einen hat sie ihr geldpolitisches Instrumentarium umgestellt. Anstelle des Übernachtszinses gilt seit einigen Wochen wieder der einwöchige Zins für Wertpapiergeschäfte mit der Notenbank als wichtigster Leitzins für die Geschäftsbanken. Die Notenbank ist damit zu ihrer traditionellen Ausrichtung zurückgekehrt.
Zum anderen hat die Zentralbank ihren Leitzins in den vergangenen Wochen auf 16,5 Prozent angehoben. Bei einer Inflation von rund 12 Prozent ergibt sich ein Realzins von etwa 4,5 Prozent, was laut Ghose zunächst ausreichen dürfte, um die Lira zu stabilisieren.
WIE GEHT ES WEITER?
Der Wahlausgang dürfte in jedem Fall eine Herausforderung für die Lira werden. Laut Umfragen könnte Erdogan zumindest im ersten Wahlgang an einer Wiederwahl ins Präsidentenamt scheitern. Ob sich jedoch die zersplitterte Opposition in einem denkbaren zweiten Wahlgang auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen könnte, gilt als zweifelhaft.
Im Parlament könnte die AKP ihre absolute Mehrheit verlieren, falls die kurdisch geprägte HDP den Sprung ins Parlament schafft. Das gilt laut Umfragen als denkbar. Starke Verluste der AKP würden einen uneindeutigen Wahlausgang und damit zunächst Ungewissheit bedeuten. Und Unsicherheit kommt an den Finanzmärkten selten gut an, was Kursverluste der Lira auslösen könnte.
Unabhängig von der kurzfristigen Reaktion der Lira auf den Wahlausgang meint Commerzbank-Experte Ghose, dass nach den Wahlen viele wichtige politische Fragen zu klären seien. "Das Schicksal der Lira wird gänzlich von den Antworten darauf abhängen."/bgf/jsl/jha/